Nicky Spence 2

4. 12. 2024, 19:00 Uhr

Janáček-Theater

Autor: Leoš Janáček

Dirigent: Marko Ivanović

Regie: Robert Carsen

Ensemble: Janáček-Oper des Nationaltheaters Brno

In Koproduktion mit: Teatro Real, Madrid; Staatsoper Unter den Linden, Berlin

 

Weitere Aufführung: 1.11. um 19:00 Uhr (die Premiere, Feierliche Eröffnung des Festivals)3.11. um 15:00 Uhr, 3.12. um 19:00 Uhr (Festival-Nachlese)

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1. Der Ausflug des Herrn Brouček zum Mond

1.Akt
Vor dem Gasthaus Vikárka auf dem Prager Hradschin streitet sich der Maler Mazal mit seiner Geliebten Málinka, der Tochter des Küsters vom Veitsdom. Mazals Hausherr, Herr Brouček, hat sich diesen Abend etwas übernommen und torkelt nach Hause. Um Mazal zu ärgern, schäkert Málinka mit Brouček, der ihr in seiner Trunkenheit sogar einen Heiratsantrag macht. Der Küster hört diese Unterhaltung, doch Brouček wandelt sein Versprechen um in einen Scherz, indem er sagt, dass er Málinka höchstens auf dem Mond heiraten würde. Er schimpft auf die ganze Welt und schaut neidisch zum Vollmond hinauf – dort sind die Menschen sicher glücklicher, dort gibt es gewiss keine Maler, keine Bankrotte und keine Reichsräte. Volltrunken schläft er ein und träumt einen Traum vom Mond. Verwandlung Brouček erwacht auf dem Mond und betrachtet verblüfft die eigenartige Landschaft und auch die Mondbewohner, die an Broučeks Bekannte aus seiner Stammkneipe erinnern. Aus dem Maler Mazal ist auf dem Mond der ekstatische Dichter Hvězdomír Blankytný geworden, der sich ebenso wie die übrigen Mondbewohner keinesfalls zu seiner irdischen Existenz bekennen will. Blankytný liebt die ätherische Etherea (Málinka) und bricht fast zusammen, als sich Etherea auf den ersten Blick in Brouček verliebt und ihn trotz der Proteste ihres Vaters Lunobor (des Küsters) wie auch Blankytnýs auf ihrem Pferd Pegasus in den Tempel der Všeuměna entführt.

2.Akt
Das erste Wort im Tempel der Všeuměna hat der Mäzen Čaroskvoucí (Würfl), der hier Brouček unter Singen der Mondhymne zu einem Gastmahl einlädt. Lunobor hat unterdessen Etherea eingefangen und in einem Netz weggeschleppt. Beim Gastmahl wird zum Entsetzen Broučeks ausschließlich Blütenduft serviert, und der ausgehungerte Brouček ist völlig verzweifelt. Während des Vortrags des Oberdichters Oblačný schläft er vor Erschöpfung ein und träumt von Bier und Schweinebraten mit Kraut und Knödeln. Auch der Maler Duhoslav kann ihn mit seiner Kunst nicht begeistern, und als Brouček auch noch ein Würstchen aus seiner Tasche zieht, fallen die entsetzten Mondkünstler in Ohnmacht. Etherea gibt nicht auf und wirbt erneut um Brouček. Die Dichter erwachen aus ihrer Bewusstlosigkeit, der verärgerte Brouček stößt Etherea beiseite und macht sich die allgemeine Verwirrung zunutze, um auf Pegasus davonzufliegen. Verwandlung Unter dem Festgesang des Gastwirts Würfl verlässt die Gesellschaft der Künstler gegen Morgen sein Etablissement. Den erschöpften Herrn Brouček trägt man in einer Truhe bis nach Hause. Málinka und Mazal versöhnen sich und besingen ihre Liebe. Nachspiel Brouček erwacht mittags zu Hause in seinem Schlafzimmer, und noch ehe er von seinem Mondtraum zu sich kommt, treten Málinka und Mazal ein, um den Hausherrn zu bewegen, die gegen seinen Mieter Mazal ausgesprochene Kündigung zurückzunehmen. Brouček ist durch die Erscheinung Málinkas – Ethereas so erschrocken, dass er die entsprechende Erklärung ohne Protest unterschreibt. Schließlich ist Brouček schwer beschäftigt, seine verärgerte Haushälterin wieder zu besänftigen.

2. Der Ausflug des Herrn Brouček ins fünfzehnte Jahrhundert

1.Akt
Gesprächsthema der Gesellschaft im Gasthaus Vikárka sind heute Abend die unterirdischen Gänge aus dem Mittelalter. Brouček macht sich auf den Heimweg und findet sich mit einemmal in einem unterirdischen Gewölbe wieder, von wo aus er durch einen Geheimgang bis in die königliche Schatzkammer in der Prager Altstadt gelangt. Sobald Brouček die Schatzkammer verlässt, erscheint Svatopluk Čech und singt eine Ode auf die ruhmreiche Vergangenheit der tschechischen Nation. Verwandlung Brouček kommt unweit des Altstädter Rings ans Tageslicht, doch wirkt alles anders als gewohnt. Die Menschen sind eigenartig gekleidet, sprechen ein sonderbares Tschechisch, und irgendjemand versucht Brouček zu überzeugen, dass man das Jahr 1420 schreibe. Brouček betrachtet alles zunächst als einen Scherz, doch begreift er den Ernst der Lage, als man ihn zum feindlichen Spitzel erklärt. Es wäre wohl um ihn geschehen gewesen, hätte sich seiner nicht der Vogt Domšík von der Glocke (der Küster) angenommen. Das bewaffnete Volk bereitet sich vor zum Kampf und betritt unter Gesängen zum Gebet die Teynkirche.

2.Akt
Bei Domšík stellt sich Brouček nur ungern auf die neue Situation ein – am liebsten wäre er heimlich verschwunden, doch er muss die Kluft der Hussiten anlegen. Domšíks Tochter Kunka (Málinka) führt die kampfbereiten Freunde herbei und erzählt vom Gottesdienst in der Teynkirche, wo auch der Heerführer Žižka anwesend war. Alle erörtern die militärische Lage und disputieren über den Sinn des Kampfs, die Wahrheit und die Religion. Brouček zeigt keinerlei Kampfgeist und bemerkt sogar, ihm sei das alles egal und er gehe nicht kämpfen, schließlich habe ihm König Sigismund nichts getan. Es entbrennt ein Streit, aber da kommt Petřík (Mazal) mit der Nachricht angelaufen, dass die Schlacht auf den Spitalfeldern bereits begonnen habe. Alle stürzen sich in den Kampf und stoßen dabei Brouček mit den Waffen in der Hand aus der Tür – dieser schleicht sich jedoch unbemerkt zurück und zieht rasch wieder seine ursprüngliche Kleidung an. Verwandlung Die siegreichen hussitischen Truppen treffen unter dem Jubel der Bevölkerung auf dem Altstädter Ring ein. Domšík hat in der Schlacht das Leben verloren. Brouček erzählt von seinem Heldenmut im Kampf, doch Domšíks Freunde haben ihn vor einem Kreuzritter knien sehen und bezichtigen ihn des Verrats. Brouček wird in ein hölzernes Fass gestopft und zum Tod durch Verbrennen verurteilt. Verwandlung Im Hof des Gasthauses Vikárka beugt sich der Gastwirt Würfl mit einer brennenden Laterne in der Hand über das Fass, in dem Brouček gerade aus seinem Traum erwacht. Brouček stellt mit Erleichterung fest, dass er wieder zu Hause ist, vergisst jedoch nicht, sich gegenüber Würfl zu brüsten, wie er beherzt an Žižkas Seite gekämpft und ihm geholfen habe, Prag zu befreien.

Regie: Robert Carsen
Dirigent: Marko Ivanović
Szene: Radu Borozescu
Kostüme: Annemarie Woods
Lichtdesign: Robert Carsen / Petr van Praet
Choreografie: Rebecca Howell
Dramaturgie: Robert Carsen / Patricie Částková
Assistent des Regisseurs: Gilles Rico
Assistent der Kostüme: Ilona Karas
Assistent der Szene: Matěj Kos

 

Besetzung:

Matěj Brouček – Nicky Spence
Mazal / Blankytný / Petřík – Daniel Matoušek
Küster am Sankt-Veits-Dom / Lunobor / Domšík von der Glocke – David Szendiuch
Málinka / Etherea / Kunka – Doubravka Součková
Würfl / Čaroskvoucí / Konšel – Jan Šťáva
Hilfskellner / Wunderkind / Student – Andrea Široká
Kedruta – Václava Krejčí Housková
Svatopluk Čech – Roman Hoza
Künstler / Oblačný / Vacek der Bärtige – Tadeáš Hoza
Künstler / Duhoslav / Vojta von den Pfauen / Professor – Vít Nosek
Künstler / Harfoboj / Miroslav der Goldschmied – Ondřej Koplík
Taboriten – Kornél Mikecz
Taboriten / Dichter – Pavel Valenta

Das Motto des 9. Jahrgangs des Theaterfestivals Bez hranic war gerade durch Janáčeks fünfte Oper Die Ausflüge des Herrn Brouček inspiriert, in der wir zusammen mit dem Haupthelden auf den Mond und dann ins 15. Jahrhundert reisen. Das gleiche Motto könnte auch für das Schaffen des Regisseurs Robert Carsen gelten, dessen Inszenierungen auf der ganzen Welt für ihr dramatisches Feingefühl, ihre Poetik, ihren Humor und ihre künstlerische Geschliffenheit geschätzt werden. Dem Werk des tschechischen Komponisten begegnete der gefeierte Regisseur schon vor vielen Jahren, und heute hat Carsen bereits sechs Inszenierungen von Janáček-Opern auf seinem Konto. Für das Brünner Ensemble schuf er im Jahr 2020 seine Interpretation der Oper Schicksal, und nunmehr kehrt er auf die Bühne des Janáček-Theaters zurück, um gerade mit seiner Neuinszenierung der Ausflüge des Herrn Brouček das Festival feierlich zu eröffnen.

Keine von Janáčeks Opern lässt sich als komische Oper bezeichnen, denn obgleich der Humor in ihnen nie fehlt, bleibt er doch stets ein sparsam eingesetztes Gewürz. In seiner Oper über den Hausbesitzer von der Prager Kleinseite, einen typischen tschechischen Kleinbürger, sprüht Janáček dagegen regelrecht vor Humor, wenngleich dieser hier ordentlich geschliffen daherkommt. Janáček fand seine Vorlage in den beliebten Brouček-Novellen des Dichters Svatopluk Čech, dessen satirischen Witz er durch seine Musik im Tanzrhythmus und die Verwendung ungewöhnlicher Instrumente wie Glasharmonika oder Dudelsack perfekt umsetzte. Während der erste Teil der Oper – der Ausflug auf den Mond – mit spitzem Humor auf die Prager Kritiker, Künstler und Intellektuellen abzielt, stellt der zweite Teil aus den Zeiten der Hussiten alle unschönen Eigenschaften des gesamten tschechischen Volkes bloß.

Die Oper war keine leichte Geburt, Janáček wechselte mehrfach die Librettisten, und es dauerte volle neun Jahre, bis er nach allen Peripetien mit dem Libretto den Ausflug des Herrn Brouček auf den Mond erfolgreich vollenden konnte. Über seine Versschreiber beklagte er sich anschließend mit den Worten: „Aber unsere Dichter! Man müsste ihnen alles vorsagen – und es würde doch erbärmlich ausfallen!“ Dennoch entschloss er sich unmittelbar nach Fertigstellung der Oper, sie noch um einen zweiten Teil zu erweitern – diesmal einen Ausflug ins 15. Jahrhundert. Diesen Teil bewältigte er zusammen mit dem Librettisten F. S. Procházka deutlich schneller, von da an jedoch schrieb Janáček alle Libretti selbst. Aber warum wählte er eigentlich Čechs Herrn Brouček? Das erklärte er sehr schön in einem Brief an Kamila Stösslová:

„Denn wissen Sie, wer dieser Brouček ist? Das ist ein ganz gewöhnlicher Mensch; er zerreißt sich das Maul über die ganze Welt und verbringt dabei das ganze Leben hinter seinem Bierkrug. Er taugt zu nichts Gutem auf der Welt. Sie fragen: „Warum haben Sie denn dann so einen Menschen für eine Oper gewählt?“ Damit er alle anwidert, damit er zum Gespött wird und damit er als Warnung dient! Die Russen hatten auch solch einen „weichen“ Menschen; er hieß Oblomow. Eigentlich war jeder zweite Russe ein Oblomow – und wohin haben sie es gebracht! Jetzt säubert das eine furchtbare Revolution mit Bächen von Blut. Deshalb führe ich Brouček vor – zur Warnung. Auch bei uns gibt es allenthalben mehr als genug dieser Broučeks! Allein ihr Magen ist ihnen alles. So betrinkt sich denn mein lieber Brouček wieder, schläft irgendwo auf dem Hradschin ein und hat einen Traum: Er fliegt auf den Mond! Und stürzt dort ab. Oh Graus! Die Menschen dort laben sich allein am Duft der Blüten. Sie lassen Brouček nur an den Blüten riehen. Und jetzt verliebt sich dort eine Mondfrau in ihn! Ein ätherisches Wesen, ein Körper wie eine Gerte!“