18. 11. 2024, 19:00 Uhr

Janáček-Theater

Gastspiel der Staatsoper Unter den Linden, Berlin.

Autor: Leoš Janáček

Dirigent: Robert Jindra

Regie: Claus Guth

Die Aufführung dauert 110 Minuten ohne Pause.

 

Weitere Aufführung: 16.11. um 19:00 Uhr

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1.Akt
Bereits seit fast hundert Jahren zieht sich vor Gericht ein Erbschaftsstreit zwischen den Familien Gregor und Prus, und gerade heute soll das endgültige Urteil ergehen. Albert Gregor, der die klagende Partei vertritt, kommt ins Büro seines Rechtsanwalts Kolenatý, um sich nach dem Ausgang zu erkundigen. Er trifft jedoch nur den Referendar Vítek an. Bald darauf erscheint im Büro Víteks Tochter Kristina, eine angehende Opernsängerin, und erzählt begeistert von der berühmten Sängerin Emilia Marty, die wenig später in Begleitung des Anwalts Kolenatý in der Tür erscheint. Marty erkundigt sich nach dem Stand von Gregors Gerichtsprozess und verblüfft alle Anwesenden mit ihren Kenntnissen der Ereignisse, die sich vor hundert Jahren abspielten. Sie weiß sogar von einer Affäre des längst verstorbenen Barons Prus mit einer gewissen Ellian MacGregor und kann genau den Ort benennen, an dem einige bislang noch nicht bekannte Papiere, darunter auch das Testament von Baron Prus, zu finden seien. Kolenatý glaubt ihr nicht, aber auf den Druck Albert Gregors hin begibt er sich gezwungenermaßen in Prusʼ Haus, um die genannten Dokumente dort zu suchen. Nach einer Weile kehrt er zusammen mit Gregors Gegenspieler Jaroslav Prus zurück, und die beiden verkünden, am von Marty benannten Ort tatsächlich ein Testament und andere bislang unbekannte Dokumente gefunden zu haben.

2.Akt
Hinter den Kulissen des Theaters unterhalten sich die Bühnenarbeiter über den glanzvollen Auftritt der Sängerin Emilia Marty. Zahlreiche Verehrer warten auf sie, darunter auch Jaroslav Prus. Sein Sohn Janek trifft sich im Theater mit seinem Schatz Kristina. Diese ist von Martys Persönlichkeit vollkommen fasziniert und möchte ebenfalls eine berühmte Künstlerin werden. Marty erscheint und empfängt der Reihe nach ihre Verehrer – unter ihnen auch Albert Gregor und der schwachsinnige Hauk-Šendorf, der in ihr seine verflossene Liebe Eugenia Montez erblickt. Ermüdet schickt Marty schließlich alle weg, es bleibt nur Jaroslav Prus. Der fragt Marty nach der Geliebten seines Vorfahren aus – der Sängerin Ellian MacGregor, die die Mutter eines unehelichen Kinds des Barons war. In den Urkunden findet sie sich jedoch unter einem anderen Namen – als Elina Makropulos. Marty interessiert sich jedoch vor allem für ein versiegeltes Kuvert, das sich zwischen den übrigen Papieren befindet, doch Prus weigert sich, es ihr zu überreichen. Es erscheint Albert Gregor, um Marty seine Liebe zu gestehen – die ihn jedoch zurückweist. Auch Janek hat sich in Marty verliebt. Die Sängerin bittet ihn darum, ihr aus dem Haus seines Vaters jenen geheimnisvollen Umschlag zu besorgen, in diesem Moment tritt jedoch Prus hinzu und willigt ein, Marty den Umschlag zum Lohn für eine gemeinsame Nacht zu übergeben.

3.Akt
Marty hat ihren Teil der Vereinbarung erfüllt und verlangt von Prus den versprochenen Umschlag. Sie erhält ihn, doch Prus ist enttäuscht – er hätte von ihrer Seite keine derartige unbeteiligte Kühle erwartet. Ein Dienstbote bringt die tragische Nachricht, dass Janek sich das Leben genommen hat, nachdem er ahnte, dass sein Vater eine Nacht mit Marty verbrachte. Der verwirrte Hauk kommt, um Marty die gemeinsame Flucht nach Spanien anzubieten. Sie erklärt sich einverstanden, doch in diesem Augenblick erscheinen Gregor, Kolenatý und Vítek mit seiner Tochter Kristina. Sie haben viele Fragen, denn nachdem Marty ein Erinnerungsfoto für Kristina unterschrieben hatte, mussten sie feststellen, dass ihr Autogramm identisch mit den Unterschriften auf den fast ein Jahrhundert alten Dokumenten ist. Sie bedrängen Marty immer mehr, bis die Sängerin schließlich ihr Geheimnis verrät. Ihr wahrer Name ist Elina Makropulos, und sie war die Tochter der Griechen Hieronymus Makropulos, der sich als Leibarzt von Kaiser Rudolph II. um die Herstellung eines Elixiers der ewigen Jugend bemühte. Er erprobte es an seiner eigenen Tochter, die nunmehr bereits 337 Jahre alt ist. Im Laufe der Jahrhunderte hat sie mehrfach ihre Identität gewechselt, unter anderem lebte sie unter dem Namen Ellian MacGregor und war damals Prusʼ Geliebte, doch war sie auch die spanische Zigeunerin Eugenia Montez, die Hauk-Šendorf in ihr erkannte. Nunmehr tritt sie als Emilia Marty auf und hat sich in die ganze Angelegenheit eingemischt, weil sie das Kuvert mit dem Rezept des Elixiers sucht – eben jenen Umschlag, den sie für eine gemeinsam verbrachte Nacht von Jaroslav Prus erhalten hat. Das Elixier wirkte nämlich nur 300 Jahre, so dass Marty, wenn sie denn weiter leben will, eine weitere Dosis einnehmen muss. Sie stellt jedoch fest, dass sie keine Freude am Leben mehr hat: ob seiner endlos langen Dauer hat es für sie jeden Sinn verloren und bereitet ihr nur noch Überdruss. Sie übergibt das Rezept Kristina und bietet ihr damit ewige Jugend, Schönheit und Ruhm. Das junge Mädchen jedoch verbrennt das Papier und entscheidet sich damit für ein zwar kurzes, aber erfülltes Leben.

Regie: Claus Guth
Dirigent: Robert Jindra
Szene: Étienne Pluss
Kostüme:
Ursula Kudrna
Lichtdesign:
Sebastian Alphons
Choreographie: Sommer Ulrickson
Dramaturgie:
Yvonne Gebauer, Benjamin Wäntig

 

Besetzung:

Emilia Marty – Dorothea Röschmann
Albert Gregor – Aleš Briscein
Vítek  – Stephan Rügamer
Kristina – Natalia Skrycka
Janek Prus – Linard Vrielink
Jaroslav Prus – Adam Plachetka
Dr. Kolenatý – Jan Martinik
Theatermaschinist – Dionysios Avgerinos
Putzfrau – Adriane Queiroz
Hauk-Šendorf – Jan Ježek
Kammerzofe – Rebecka Wallroth

Wenn jemand keine Opern mag, dann nehmt ihn mit zu Janáček, sagte einmal der Dirigent Simon Rattle – und er hat recht damit. Jede von Janáčeks Opern ist für sich ein Unikat, mit raschem Gedankengang und theatralisch im besten Sinne des Wortes. So besitzt etwa Die Sache Makropulos mit ihrer Handlung, die an einen Krimi erinnert, gewiss kein typisches Opernsujet, aber bei Janáček wird aus dem seit hundert Jahren andauernden Erbschaftsstreit rasch ein mitreißendes Drama über die Suche nach dem Sinn des menschlichen Lebens. Zu einem noch größeren Erlebnis wird diese Oper, wenn Claus Guth sich der Regie annimmt. Bei ihm gehen die realistischen Bilder der Anwaltskanzlei und der Theaterkulissen abwechselnd in geradezu surrealistische Momente der Isolation der Hauptheldin über. Der deutsche Regisseur Claus Guth zählt zu den ganz Großen seiner Zunft und ist vor allem für seine Inszenierungen der Werke von Richard Strauss, Richard Wagner oder Händel bekannt. Seine erste Begegnung mit einer tschechischen Oper war die Inszenierung der Juliette von Bohuslav Martinů im Jahr 2016, doch erst sechs Jahre später folgte der erste Janáček – die hervorragende Inszenierung von Jenůfa für das Royal Opera House in Covent Garden. Die Sache Makropulos entstand für die Staatsoper Unter den Linden, Berlin, deren ausgezeichnetes Ensemble sich mit dieser Inszenierung erstmals auf unserem Festival präsentiert.

Die Sache Makropulos ist in der Opernwelt in vielerlei Hinsicht einzigartig. Es ist keine Überraschung, dass Karel Čapek, der Autor der literarischen Vorlage, anfangs etwas skeptisch auf Janáčeks Idee reagierte, sein Schauspiel zu einer Oper umzuschreiben. Eine Handlung, die im juristischen Milieu angesiedelt ist, voller Dialoge und Verwicklungen, wo die Figuren telefonieren und wo man geradezu ein Experte für Genealogie sein  muss, um die Verwandtschaftsverhältnisse zu durchschauen, war auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht gerade typisch für eine Oper. Doch Janáček, der sich schon im Schlauen Füchslein mit dem ewigen Kreislauf des Lebens befasst hatte, war fasziniert davon, was sich in der Sache Makropulos hinter der juristischen Detektivgeschichte verbarg – die Frage, ob die Unsterblichkeit den Menschen Glück bringen würde oder ob zu einem erfüllten Leben gerade die Unausweichlichkeit seines Endes beiträgt. Janáček selbst erinnere sich später: Es hat mich gepackt. Wissen Sie, dieses furchtbare Gefühlsleben eines Menschen, der nie ein Ende haben wird. Das reine Unglück! Er will nichts, er erwartet nichts. Daraus muss sich doch etwas machen lassen. Der dritte Akt, auf den bin ich stolz: diese Dynamik, diese Abgründe! Das habe ich gespürt, das habe ich gewollt. Čapek erklärte sich schließlich mit der Adaption einverstanden, und Janáček machte sich an die notwendigen Änderungen und Kürzungen des Textes. Das Komponieren der Musik nahm zwei weitere Jahre in Anspruch, und Janáčeks Korrespondenz lässt erkennen, wie sehr er sich mit der Hauptfigur der Oper beschäftigte: eine 300 Jahre alte Schönheit – und ewig jung – aber vollkommen abgebrannte Gefühle! Brr! Kalt wie Eis! Aber ich mache sie wärmer, damit die Leute Mitleid mit ihr haben. Ich werde mich noch in sie verlieben. Die Premiere am Brünner Nationaltheater kurz vor Weihnachten 1926 stieß auf ungeahntes Interesse, und das Theater war vollkommen ausverkauft! Der Erfolg war gigantisch. Janáček erinnerte sich: Diese erkaltete Frau wurde ein unerwarteter Erfolg! Allen lief es kalt über den Rücken. Angeblich ist es mein größtes Werk!

Patricie Částková